Etappe 18: Von Bad Hindelang nach Tengen

Essbare Wecker, der überfüllte Bodensee und ein Grundstück mit sieben Grenzen...

Wurden wir in den letzten Tagen und Wochen immer durch die Glocken eines nahegelegenen Kirchturms geweckt, so war es heute ein merkwürdiges, weil völlig unrhythmisches Gebimmel, das uns da am frühen Morgen aus dem Schlaf holte.

 

Ich ging auf den Balkon hinaus und erblickte sieben Rinder, die sich mit ihren dicken Hintern allesamt nicht im Takt bewegten und deswegen dieses Gebimmel mit ihren Glocken verursachten. Ok, auch mal ne' interessante Variante, von einem essbaren Wecker geweckt zu werden. Uns kam das frühe Wecken aber gelegen, da uns heute mal wieder eine längere Strecke bevorstand. Ein weiterer Blick vom Balkon zeigte, dass es auch wieder trocken war. Der gegenüberliegende Hausberg, der 1887 m hohe Breitenberg, war allerdings noch hinter einen dicken Nebelwand verschwunden. 

 

Am liebsten wäre ich den Jochpass bei unserer Abfahrt nochmal rauf und runter gefahren, aber ich befürchtete, dass Helene mich dann für leicht bekloppt erklärt hätte. Also machten wir uns auf in Richtung Sonthofen, um südlich davon auf den Riedbergpass (1420 m) zu gelangen; immerhin Deutschlands höchster befahrbarer Gebirgspass. Die Passstraße erreicht man von Fischen aus, wenn man der Beschilderung nach Balderschwang folgt.

 

Die Auffahrt zur Passhöhe ist noch sehr kurvenreich und macht Spaß. Oben angekommen, werden die Kurven weiter. Als Ausgleich dafür bekommt man kurz hinter Balderschwang einen Blick auf eines der schönsten Hochtäler im Allgäu, wie wir fanden. Kurz hinter Balderschwang kreuzten wir noch mal die Grenze nach Österreich, um dann die Passhöhe hinunter ein letztes Mal Alpenkurven zu fahren.

 

Unser erstes Alpenerlebnis mit dem Motorrad ging damit leicht wehmütig zu Ende. Wir mußten weiter und es kam uns vor wie bei der Vertreibung aus dem Paradies. Keine Frage, die vergangenen drei Tage waren unangefochten die schönsten der ganzen Reise, wenn man es mal rein unter Motorrad-Gesichtspunkten betrachtet und alle anderen Faktoren unberücksichtigt läßt. Nichts, so dachten wir, könnte dem ebenbürtig sein - doch in den Vogesen sollten wir später noch mal eines Besseren belehrt werden.

 

Jetzt jedenfalls fuhren wir kurz hinter Hittisau über die Bundesstraße B 205 wieder in Richtung Deutschland. Adieu Österreich, adieu Alpen - wir kommen wieder!

 

Hinter der Grenze hielten wir in Oberstaufen an der "Königlich Bayrischen Enzianhütte". Es war Sonntag, und der wöchentliche Edel-Frühschoppen mit Live-Musik wurde gerade vorbereitet. Überall auf den Tischen wurden ganze Batterien von Moët Chandon-Flaschen platziert. Obwohl wir noch vor Öffnung des Biergartens da waren und offenkundig kleidungstechnisch auch nicht zur Zielgruppe des Frühschoppenpublikums zählten, brachte man uns bereitwillig und freundlich einen Kaffee und stempelte unsere Kölschpässe ab.

 

Als ich die Champagnerpreise und, vor allem, die Preise für Mineralwasser am Getränkepavillon sah, bekam ich einen leichten Schreck und fragte mich, was wir denn wohl für den Kaffee hinlegen dürften. Doch da war man human, drei Euro für zwei große Kaffee war völlig in Ordnung. So langsam füllte sich dann die Enzianhütte mit der zahlungskräftigen Zielgruppe; Zeit für uns, weiter in Richtung Bodensee zu fahren.

 

Über die B 308 und die B 31 fuhren wir nach Friedrichshafen und bemerkten erstmals deutlicher, dass Sonntag war, denn die gesamte B 31 war ein einziger Stau. Kilometerlang. Und es war wieder ziemlich heiß. Ich versuchte es mit abschnittsweisem Vorbeifahren am Stau, aber das ständige Wiedereinscheren bei Gegenverkehr und die verkehrserziehenden Massnahmen einiger gestörter Verkehrsteilnehmer ließen ein flüssiges Vorwärtskommen auch nicht zu. Das Schleichen im Stau bringt uns noch an den Rand eines Hitzschlags, dachte ich und folgerte daraus, dass ich Sonderrechte in Anspruch nehmen dürfte.

 

Ich scherte also kurzerhand auf den leeren Fußgänger- und Fahrradweg aus und legte dort die letzten Kilometer bis Meersburg zurück. Das Tolle an Meersburg: Es gibt in Ufernähe einen Motorradparkplatz und sogar abschließbare Fächer für Helme.

 

Nicht so toll war, dass es eben auch hier proppenvoll war. In Meersburg legen die meisten Fähren zur Insel Mainau ab, was vermutlich einer der Gründe war, warum es hier so überlaufen war. Bevor wir jedoch weiterfahren konnten, bat uns ein Bikerpärchen aus der Nähe von London noch um Rat und kurze Zeit später dann noch ein Motorradfahrer aus Rom - jeder wollte nur wissen, wie er aus dem Moloch von Urlaubern, Wochenendbesuchern und Einheimischen schnellstmöglich wieder raus kam. Bei der Abfahrt aus Meersburg war uns nicht ganz klar, wieso gerade hier die zufriedensten Menschen Deutschlands leben (lt. einer Umfrage von "Perspektive Deutschland"), aber das änderte sich ein paar Kilometer weiter, abseits des ganzen Touristentrubels.

 

Wir fuhren zum nordwestlichen Ausläufer des Bodensees, der auch Überlinger See genannt wird. Dort war es merklich ruhiger und sehen konnte man vom Bodensee genauso viel wie in Meersburg. Vor der Basilika in Birnau machten wir dann auch eine kurze Rast im gegenüberliegenden Bistro bzw. Café. Unser heutiges Ziel war noch fern, also machten wir uns nach einer kurzen Pause wieder auf die Socken.

Der Rheinfall von Schaffhausen stand jetzt als nächste Station auf unserem Programm, welches heute mal wieder nach dem Motto verlief "Ganz Deutschland für Chinesen in zwei Tagen" - ankommen, anschauen und abhauen, so lautete leider meist die Vorgabe. Bislang hatte ich von den Schweizern immer eine gute Meinung, und Zeit meines Lebens arbeitete ich darauf hin, mir eines Tages mal dort ein Konto gönnen zu können - aber das ist spätestens seit dem Grenzübertritt vorbei:

 

Der Rheinfall ist am einfachsten über die Autobahn 4 (E41) zu erreichen und exakt an der letzten Ausfahrt vor der Ausfahrt zum Rheinfall wird die Strecke vignettenpflichtig - und dafür wollen die Eidgenossen dann gleich mal satte 40 Schweizer Franken (ca. 29 Euro). Die Vignette gilt dann zwar für ein ganzes Jahr (an der Tankstelle sagte man uns allerdings, dass sie sogar nur für einen Monat gelten würde), aber was interessiert das einen Tagestouristen.

 

Also verließen wir die Autobahn an der vorletzten, kostenlosen Ausfahrt und versuchten, uns durch die unübersichtliche Stadt zu quälen. Wie zur Strafe gab's dann auch erstmal keinerlei Hinweisschilder mehr und auch unser sonst so zuverlässiges Navi wollte uns partout andauernd auf die teure Autobahn zurücklotsen - wohl das Werk eines Schweizer Programmierers.

 

Ihr schafft uns nicht, dachte ich. Sch... auf Schilder, Navi und Karten, wir werden den Wasserfall schon finden. Der Rheinfall würde nicht zum Reinfall werden. Wir versuchten, uns immer in Rheinnähe zu halten. Gesagt, getan, irgendwann fanden wir ihn auch. Zurück haben wir dann wieder genüßlich die Innenstadt mit unseren Abgasen belastet, denn auf der Hinfahrt hatten wir da schon eine überdimensionierte Pizzeria gesichtet, die wir jetzt erstmal aufsuchten.

 

Um uns die stressige Rückfahrt zu erleichtern, war ich drauf und dran, den Schweizern die 40 Franken in den Rachen zu werfen und die Autobahn nach Tengen zu benutzen, doch, welch' Wunder, der Programmierer von unserem Navi hatte offensichtlich ein Einsehen und Mitleid mit uns, denn es zeigte uns jetzt einen mautfreien Weg an.

Eine halbe Stunde später kamen wir dann in Tengen, unserem heutigen Etappenziel an. Wir waren froh, an diesem heißen Tag mit den vielen Eindrücken endlich im Hotel Löwen-Schlauch angekommen zu sein und ließen uns erstmal im Biergarten nieder. Nach dem ersten Luftschnappen und dem ersten Bier lernten wir dann auch unseren heutigen Gastgeber kennen: Bruno Zurrin.

 

Bruno ist selber leidenschaftlicher Motorradfahrer (fährt selber eine K und eine GS von BMW sowie eine Harley) und ist auf motorradfahrende Gäste bestens vorbereitet. Das fängt bei der Garage mit Werkzeug und Trockenraum an und endet noch längst nicht bei den ausgearbeiteten Roadmaps für Touren in die Umgebung, die er seinen Gästen gerne zur Verfügung stellt. Wenn es seine Zeit zuläßt und die Anfrage früh genug kommt, steht er gerne auch als Tourguide zur Verfügung.

 

Tengen, das war doch die Stadt mit dem einzigen "internationalen Fußballplatz" der Welt. Die Stadt, von der ich in zahlreichen Interviews gesprochen hatte. Bruno fing an zu grinsen und zeigte auf den Fußballplatz gegenüber vom Biergarten. "Da drüben, die Außenlinie auf der anderen Seite, gehört bereits zur Schweiz. Am Spielfeldrand steht der Grenzstein", erklärte er mir.

 

Dann zeigte er, wo überall noch die Schweiz war - nämlich direkt rechts von seinem Grundstück und keine 200 Meter weit links von seinem Grundstück; es würde nicht mehr viel fehlen und das Gebiet des Hotels Löwen-Schlauch wäre eine deutsche Enklave in der Schweiz. Damit nicht genug. Das Grundstück habe insgesamt sieben Grenzen, meinte er bedeutungsvoll. Es gibt die Grundstücksgrenze, die Dorf- bzw. Gemeindegrenze, die Stadtgrenze, die Kreisgrenze, die Landesgrenze, die Bundesgrenze und schließlich die EU-Grenze - das ist wirklich einmalig.

 

Das Hotel hat sieben Grenzen und von uns gibt's sieben Sterne ! Vielen Dank für den tollen Abend; es hat uns sehr viel Spaß gemacht.

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